Georg Mohr EINLEITUNG: DER PERSONBEGRIFF IN DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE Der Begriff der Person ist in der abendländi
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EINLEITUNG: DER PERSONBEGRIFF IN DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE Der Begriff der Person ist in der abendländischen Kultur seit der Antike ein Grundbegriff des menschlichen Selbstverständnisses. Einen solchen Begriff durch seine philosophische Geschichte zu verfolgen, kann nur bedeuten, Konzeptionen, deren Kenntnisnahme aus gegenwärtiger Sicht wünschenswert erscheint, exemplarisch aus der Chronologie herauszugreifen. Auch mit Bezug auf die Kulturtraditionen geht der folgende historische Parcours selektiv vor. Er beschränkt sich auf die okzidentale Begriffs- und Theoriebildung. Angesichts der fundamentalen Bedeutung des Personbegriffs in unserer Kultur muß es verwundern, daß es nach wie vor keine umfassende monographische Darstellung der philosophischen Geschichte dieses Begriffs gibt. 1 Im Kontrast dazu steht auch die Tatsache, daß wir in den letzten Jahrzehnten, nicht zuletzt angestoßen durch angelsächsische Diskussionskontexte, eine Hochkonjunktur einer „Philosophie der Person“ erleben. Die zahlreichen Abhandlungen zum Personbegriff, die gerade in jüngster Zeit auch im deutschsprachigen Raum entstanden sind, lassen spätestens auf den zweiten Blick erkennen, daß das gegenwärtig verfügbare Reservoir von Begriffen und Argumenten hier in besonderem Maße historisch geprägt ist. Eine zweitausendjährige Geschichte der philosophischen Konzeptualisierung des menschlichen Selbstverständnisses wird hier fortgeführt, auf gegenwärtige Problemstellungen bezogen und in moderne Begriffssprachen übersetzt. Fundamentale Konzepte wie das der Person sind regelmäßig in ein Traditionsverständnis eingebunden. Wenn sich in einem Begriff wie dem Personbegriff ein Set von Grundüberzeugungen unserer Kulturtradition artikuliert, dann gehört die historische Vergewisserung der Herkunft und Entwicklung eines solchen Begriffs zur philosophischen Selbstverständigung der Gegenwart. Wie wichtig eine sorgfäl1 Einen kleinen, um eine Einleitung ergänzten Ausschnitt aus der Geschichte der Diskussion über
Bedingungen personaler Identität, der bis in die aktuelle Debatte reicht, enthält die Anthologie Perry 1975, die inzwischen einige Nachfolger gefunden hat. Damit ist aber nur eine von vielen für den Personbegriff relevanten Fragen angesprochen. Eine umfassendere kommentierte historische Dokumentation steht noch aus.
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tige Begriffsgeschichte ist, zeigt sich, negativ, daran, wie stark die Deutung unserer Grundüberzeugungen von Projektionen, Präjudizien und auch von Fehlmeinungen bestimmt sein kann. Der Personbegriff ist dafür ein schönes Beispiel. In der Frage nach seiner Herkunft hat sich lange die Meinung durchgehalten, seine für unser gegenwärtiges Verständnis relevanten Bedeutungsmerkmale gingen auf die frühchristliche oder gar erst mittelalterliche Trinitäts- und Inkarnationstheologie – drei Personen in einem Gott; eine Person, Christus mit zwei Naturen – zurück. Die mit dem Begriff der Person heute verbundene Vorstellung von der Würde und Einmaligkeit des menschlichen Individuums wäre demnach genuin christliches Erbe. Es gibt gute Gründe, dieser Annahme zu widersprechen und die philosophiehistorische Herkunft des Personbegriffs in der vorchristlichen Antike zu lokalisieren. Maximilian Forschner zeigt in seinem Beitrag über den Begriff der Person in der Stoa, daß wesentliche der bis heute mit dem Personbegriff verknüpften Vorstellungen auf die vorchristlich stoische Lehre vom Menschen zurückgehen. Die frühchristliche Theologie hat sie von der Stoa aufgenommen, sie dabei jedoch in einen dualistischen Begründungszusammenhang gestellt, der die Seele als eine vom menschlichen Körper isolierte Substanz ausweisen will. In der stoischen Philosophie hingegen lassen sich nach Forschner, der sich vor allem auf Cicero und Epiktet bezieht, die Ursprünge eines nichtdualistischen Personbegriffs ausmachen, den wir auch in der alltäglichen Lebenspraxis verwenden und mit dem wir uns auf lebende Menschen, „natürliche Personen“, beziehen. Wir meinen damit uns selbst und unseresgleichen a