DISSERTATION Titel der Dissertation K. K. und P. A. Eine Typologie Verfasser Mag. Dr. Simon Ganahl angestrebter aka
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DISSERTATION
Titel der Dissertation
K. K. und P. A. Eine Typologie
Verfasser
Mag. Dr. Simon Ganahl
angestrebter akademischer Grad
Doktor der Philosophie (Dr. phil.)
Wien, Juni 2012
Studienkennzahl lt. Studienblatt:
A 092 332
Dissertationsgebiet lt. Studienblatt: Deutsche Philologie Betreuer:
Univ. Prof. Dr. Roland Innerhofer
Für diese Dissertation wurde dem Verfasser ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zuerkannt (Projektnummer 22134).
INHALT
Erstens
Monolog 5–16
Zweitens
K. K. 17–110
Drittens
P. A. 111–214
Viertens
Dialog 215–219
Anhang
Quellen 220
Abstract 233
Lebenslauf 234
Quelle: Autograf (Altenberg), Houghton Library, Harvard University
Monolog | 5
W
enn ich auf den folgenden Seiten erzählen würde, wie mir beim Trödler ein alter Sekretär auffiel, wie ich ihn kaufte und in seinen versperrten Schubladen zwei Papier-
stapel fand, der eine mit K. K., der andere mit P. A. gezeichnet, dann wäre ich ein Dichter und dieses Buch ein Roman; wenn wir einleitend die Biografien der Autoren Karl Kraus und Peter Altenberg gegenüberstellen würden, um deren Schriften Dritte Walpurgisnacht und Pròdrŏmŏs
thesengeleitet untersuchen und im Hinblick auf das Gesamtwerk beurteilen zu können, dann wäre der Verfasser ein Wissenschaftler und dieses Buch eine Studie; was aber wäre jemand, der weder das eine noch das andere und doch beides zugleich ist? Der lange Satz stammt aus einer Textdatei mit dem Namen »Anfang«, die vom 21. Juni 2006 datiert. Bei dem Ton, den er anschlägt, kommt einem das Fürchten, so hoch steckt er das Ziel, das die geplante Dissertation erreichen sollte. Mit Kierkegaards Entweder – Oder und Musils Der Mann ohne Eigenschaften im Ohr wollte man ein Buch über Karl Kraus und Peter Altenberg schreiben, das ihre Haltungen, ohne den Boden der Tatsachen zu verlassen, literarisch verdichtet. Es dauerte sechs Jahre, bis der Versuch abgeschlossen war. Ob er gelungen ist, mögen die Leser entscheiden. Man kann nur als Herausgeber berichten, wie er sich entwickelt hat. Die Arbeit geht auf einen Ministranten zurück, der die Bilder an der Kirchendecke zu oft angesehen hatte und sich aus Langeweile entschloss, den Predigten zu folgen. Sonntag für Sonntag nahm der Pfarrer das vorgelesene Zitat aus dem Evangelium auf und bezog es auf eine Stelle des Alten Testaments: Jesus, so lautete die Botschaft, sei in die Welt gekommen, um das mosaische Gesetz zu erfüllen. Dem Jungen blieben weniger die Geschichten in Erinnerung als das Verfahren, von dem der Pfarrer, der für sein dörfliches Amt zu gescheit war, später behauptete, dass es sich um eine »typologische Exegese« handle. In der Schule und auf der Universität lernte der ehemalige Messdiener, der nur mehr heimlich in die Kirche ging, wie Gedichte und Romane auszulegen seien. Gegeben war eine beliebige Passage, die es als Wirkung einer Reihe von Ursachen zu beschreiben galt. Wenn in einem Buch zum Beispiel stand, dass der Geschlechtsakt eine minderwertige Ausdrucksform emotionaler Bindungen darstelle, dann konnte man auf die Syphilis-Erkrankung des Autors verweisen, die keinen Sexualverkehr zulasse. Und wenn ein Buch, sagen wir, die Bedeutung der Vorstellungskraft betonte, dann konnte man nach anderen Schriften des Autors suchen, in denen die Fantasie ebenfalls eine Rolle spielte. Dem Studenten wurde es schwer ums Herz, weil ihn die schönen Texte nun immer zum traurigen Leben jener Personen führten, die sie geschrieben hatten. Als er nach dem Umweg wieder zum Text zurückfand, waren die Stellen, von denen er ausgegangen war, wie kaltgestellt. Er wusste, warum sie dastanden, und legte das Buch zur Seite. Es hatte nicht mehr in ihm verändert als die Mit